Im Test zeigt Death Stranding, dass es nicht nur ein außergewöhnliches Spiel ist, sondern auch einen sehr dedizierten Geschmack benötigt, um gemocht zu werden. Und wenn ihr nach wie vor unsicher seid, ob der Titel zu euch passt, solltet ihr die nachfolgenden Zeilen lesen! Kojima liefert nach Metal Gear Solid eine weitere Spitzenmarke ab, die nicht jedermanns Sache ist.
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Death Stranding – Das „Strand“-SpielMehr als nur ein DHL-SimulatorDeath Stranding – Die echten Schwächen des Spiels
Death Stranding handelt von den USA, die im Zuge des „Death Stranding“ sämtlichen Zusammenhalt verloren haben. Sogenannte BTs sind erschienen und hinterlassen bei jedem Kontakt mit Menschen wahnsinnig große Krater, die sämtliches Leben und Objekte im Nu auslöschen. Was hat es mit diesem Ereignis auf sich? Das verrate ich nicht, weil es einer der großen Mythen des Spiels ist. Wichtig ist jedoch zu wissen, dass Norman Reedus, im Spiel Sam Porter Bridges genannt, ein sogenannter Repatriate ist. Also jemand, der dem Tod entkommen ist. Kojimas Titel gibt einen ungewöhnlich frischen Blick in Szenarien, was nach dem Leben passiert und verlangt des Öfteren von euch, dass ihr verdammt aufmerksam zuhört.
Doch was hat es mit dem Baby auf sich, das Norman Reedus in den bisherigen Trailern mit sich führte? Das ist ein sogenanntes Bridge Baby, kurz BB, das die Fähigkeit hat, die ansonsten unsichtbaren BTs aufzuspüren. Die Verbindung zwischen dem BB und Reedus‘ Charakter ist ein weiterer Fokal-Punkt des Spiels, sodass ich auch hier nicht weiter aus dem Nähkästchen plaudern will. Das liegt auch daran, dass ich somit die Rolle von Mads Mikkelsen verraten müsste und somit viel zu weit in Spoiler-Gebiete rutsche.
Death Stranding gibt sich lediglich die ersten drei Kapitel wahnsinnig kryptisch und unübersichtlich. Danach lösen Kojima und seiner Schreiberlinge mehr und mehr Rätsel auf und die ganze Geschichte wird merklich greifbarer. Nichtsdestoweniger dürfte das Ganze nicht jedem sonderlich schmecken. Wie gewöhnlich für Kojimas Mastermind gibt es einige völlig abstruse, gar ekelhafte Dinge (je nach eurem Gusto, versteht sich), an die es sich zu gewöhnen gilt. Reedus‘ Auftrag infolge der Story ist es, gen Westen zu reisen und sämtliche Kolonien miteinander zu verbinden. Und ja, die Bezeichnung „DHL-Simulator“ ist hier und da durchaus gerechtfertigt. Dazu aber später mehr. Der Anteil der Zwischensequenzen ist hoch, weit mehr als 10 Stunden. Dabei setzt Kojima gerne auf die „One Shot“-Technik, sodass Szenen ohne Kameraschnitte gedreht sind. Dadurch entsteht ein hohes Maß an Immersion und Spannung. Cineastisch spielt Death Stranding in einer völlig anderen Liga als alle bisherigen Spiele dieser Generation.
Neben den hier bereits erwähnten Schauspielern gesellen sich noch etliche weitere, hochkarätige Stars. Dazu gehören unter anderem Troy Baker, Guillermo del Toro, Léa Seydoux oder die überragende Lindsay Wagner. Auch Margaret Qually und selbst Conan O’Brien sind mit von der Partie. Alle haben gemein, dass sie exzellent ins Spiel integriert wurden und die allgemeine Wertigkeit der Zwischensequenzen mit deren schauspielerischen Leistungen auf für die Spielebranche ungewöhnliches Hollywood-Niveau heben.
Death Stranding – Das „Strand“-Spiel
Das Wort Strand solltet ihr in dem Fall nicht deutsch lesen, sondern englisch. Die deutsche Übersetzung lautet Strang oder Faden. Und genau das spiegelt auch das Mammut-Projekt von Kojima sehr gut wider. Es geht darum, dass die Amerikaner wieder zusammenfinden und an einem Strang ziehen. Dazu braucht es für uns Spieler eine permanente Online-Anbindung. Denn jede Aktion im Spiel wirkt sich auch auf die anderen Spieler aus. Wenn ihr die prächtige und zugleich riesige Spielwelt zu Fuß oder mit einem Bike bereist, so stoßt ihr unweigerlich auf Hindernisse. Flüsse, Berge und so weiter und so fort.
Wenn ihr euch also auf so eine Reise begebt, solltet ihr neben ausreichend Materialien und den anderen Transportwaren auch PCCs bzw. Leitern mitnehmen. PCCs sind versatile Alleskönner, mit denen sich Brücken, Aussichtstürme, Briefkästen, Straßen und mehr bauen lassen. Ist die Strömung eines Flusses zu stark, empfiehlt es sich entweder eine Leiter zu verwenden oder eine Brücke zu bauen. Doch bevor ihr das tut, ist es ratsam die Umgebung zu begutachten. Vielleicht hat ja ein anderer Spieler diese Aufgabe für euch übernommen! Und das macht das Strand-Genre aus. Die Spielwelt wirkt sehr greifbar, ja gar persistent. Alle helfen sich gegenseitig.
Damit aber nicht genug. Wenn ihr oder andere Spieler Pakete fallen lasst und lange genug nicht aufhebt, tauchen diese bei anderen Spielern in der Welt auf. Und dann könnt ihr oder eben die anderen Gamer diese aufnehmen, an den richtigen Ort bringen und zurück an den Absender schicken. Kojimas Message ist deutlich: Helft einander. Ich finde es grandios, wie er und sein Team den Zusammenhalt der Menschheit durch solche kleinen Gesten propagieren. Auch die Tatsache, dass ihr nur Likes für anderer Leute Strukturen oder Nachrichten-Schilder geben könnt, nimmt eine ganze Menge Toxizität raus und gibt schlicht ein gutes Gefühl.
Mehr als nur ein DHL-Simulator
Ich will gar nicht lange um den heißen Brei reden. Die meiste Zeit derer Spielstunden, die ihr nicht mit Zwischensequenzen verbringt (von 50 Spielstunden sind das wie gesagt mind. 10), seid ihr sehr oft und manchmal auch sehr lange unterwegs und führt Lieferungen durch. Kojima und sein Team haben dazu auch allerhand Kniffe parat, um das durchaus spannend (oder nervig, je nachdem, wie ihr dazu steht) zu gestalten. Norman Reedus‘ Charakter kann nur eine bestimmte Menge überhaupt auf seinem Rücken tragen. Mit dem späteren Exoskelett wird das ein wenig trivialisiert. Neben dem Gewicht-Limit gibt es auch ein Stacking-Limit, denn irgendwann ist der Turm per se zu instabil oder zu hoch.
Das Fracht-Management spielt also schon vor der eigentlichen Reise eine große Rolle. Glücklicherweise ist die automatische Anordnungs-Funktion ungemein stark und wählt stets die perfekte Ladetaktik. Je mehr ihr allerdings mitschleppt, desto mehr verschiebt sich der Gleichgewichtsschwerpunkt. Mit den Schultertasten könnt ihr den Gleichgewichtssinn von Reedus steuern und glaubt mir, das mag wirklich zu Beginn nerven. Das Exoskelett schafft Abhilfe. Tatsächlich ist dieser ganze Aspekt, sprich der Weg von A nach B mit all seinen Hindernissen, der zentrale Aspekt des Spiels für die erste Spielhälfte. Gelegentlich dürft ihr euch mit BTs herumschlagen, dazu aber gleich noch mehr. Oder mit Räubern, wo auch die meisten Schwächen von Death Stranding zum Vorschein kommen.
Habt ihr also diesen zugegeben schwierigen ersten Teil überwunden, wechselt auch der spielerische Fokus. Nicht mehr die Lieferung steht im Zentrum, sondern die Erkundung der Spielwelt. Death Stranding erfordert dann andere spielerische und kognitive Leistungen von euch, die zuvor auf rein mechanischer (und psychomentaler) Basis ausgelegt war. Mir hat dieser Fokus-Shift sehr gut gefallen. Nichtsdestoweniger ist es verständlich, wenn es nicht euren Gusto erwischt, weil ihr – heruntergebrochen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner – nach wie vor dasselbe macht.
Death Stranding – Die echten Schwächen des Spiels
Während das meiste bis hierher vielmehr eine Frage des Geschmacks ist, bleibt unbestritten, dass gerade das Kampfsystem der Schwachpunkt des Spiels ist. Gelegentlich trefft ihr im Verlauf des Spiels auf Banditen, die sich einen Spaß aus dem Death Stranding machen und ahnungslose Reisende überfallen. Die Räuber sind stets an denselben, vorgegebenen Orten. Meistens könnt ihr sie umgehen, oftmals ist es allerdings nicht möglich. Ohne Bike kloppt ihr sie einfach durch simples Button-Mashing nieder. Tiefgang? Fehlanzeige. Klar, Reedus‘ Charakter ist kein Solid Snake und deswegen mit Waffen nicht sonderlich begabt. Trotzdem hätte ich mir hierfür mehr Tiefe gewünscht, zumal das Feature somit schlicht aufgesetzt wirkt.
Ein relativ ähnliches spielerisches Problem stellen die Begegnungen mit den BTs dar. Die mysteriösen, geisterhaften Gestalten sind gerade zu Beginn, wo ihr euch nicht wehren könnt, tatsächlich angsteinflößend. Und die Momente der Begegnungen unglaublich spannend. Doch vom Moment an, wo sie besiegbar werden, nervt jede BT-Zone. Diese kündigen durch Starkregen an und hören sofort auf, wenn ihr die betroffene Zone verlasst. Die beklemmende Atmosphäre weicht einem „Dann nutze ich halt meine Granate, wenn sie mich entdecken“. System trivialisiert. Übrigens: Dadurch, dass ihr die BT nicht dauerhaft sehen könnt – immer nur für wenige Sekunden – habt ihr das BB dabei. Eine Art Sonar zeigt euch praktisch an, wo sich die BT ungefähr befinden. Je lauter das Geräusch, desto näher. Sind sie zu nah, gilt es den Atem anzuhalten.
Gleichermaßen erwischt es die Bosse im Spiel. In Punkto Inszenierung, Design und Atmosphäre macht Death Stranding in dieser Hinsicht kein Spiel etwas vor. Doch aufgrund der simplen Spielmechaniken wirken die Bosskämpfe arg blass. Hier haben die Entwickler tatsächlich die Chance vertan, die exzellente Atmosphäre durch ein starkes Gameplay fortzuführen.
Optisch & akustisch ein Meisterwerk sondergleichen
Grafisch zieht Death Stranding sämtliche Register der Decima-Engine, die bereits in Horizon: Zero Dawn zum Einsatz kam. Sowohl die Charaktere als auch die wunderschönen Landschaften spielen in einer Klasse, die so ziemlich alle anderen Open-World-Spiele völlig erblassen lassen. Vor allem aber die Gestik und Mimik der Charaktere, getragen von deren erstklassigen Schauspielern, sind so realitätsnah und authentisch, das sich der Titel durchweg wie ein Hollywood Blockbuster anfühlt als ein Videospiel. Das surreale Art Design des Spiels, die Detailverliebtheit und vor allem die wahnsinnig starken Effekte hieven den Titel locker auf den Thron der Grafikmonster dieser Generation.
Auch beim Sound spielt der Titel in der obersten Liga. Vom grandiosen Ambient Sound über die absolut erstklassige Leistung der Schauspieler bis hin zur wundervollen Musik – alles wirkt wie aus einem Guss. Selbst die deutsche Sprachausgabe ist über jeden Zweifel erhaben, wenngleich Norman Reedus nicht vom gleichen Sprecher vertont wird wie es deutsche Fans aus The Walking Dead gewohnt sind.